Von Lumpenpazifisten und gesegneten Kanonen

die Bedeutung des Krieges in der evangelischen Kirche

- Frieden schaffen mit immer mehr Waffen?


- 1. Teil -




Kurt Tucholski schrieb, dass kein Vortrag ohne einen geschichtlichen Rückblick beginnen darf. Da er für mich ein großes Vorbild als Satiriker darstellt, werde ich dem Folge leisten. Mir sind zu diesem Thema in meiner Familie einige Kriegsepisoden in Erinnerung geblieben, die so gar nichts mit den Kriegsgeschichten der Elterngeneration, wie sie sich unzählige Angehörige meiner Generation immer und immer wieder anhören mussten. Vom „Barras“, wo einem erst einmal Zucht und Ordnung beigebracht würde, das wir ja viel zu verweichlicht wären, alles genießen und verprassen würden, was unsere Eltern in harter Arbeit nach dem Krieg aufgebaut haben. Dabei verschwiegen sie, dass sie selbst dafür sorgten, dass Deutschland 1945 in Schutt und Asche lag – doch Selbstmitleid ist fester Bestandteil der deutschen Leidkultur.


Was ich zu berichten habe zeigt eine andere sehr unheldische Seite und soll dazu dienen, der heutigen Generation, die anlässlich des Krieges in der Ukraine von der Vernichtung Russlands und einem Siegfrieden faselt, nichts anderes wiederholt, als die bürgerliche Klasse in der Götterdämmerung des untergehenden Kaiserreiches. Wenn damals die Jungen mit ihren Zinnsoldaten die völkischen Kriege im Wohnzimmer aufbauten, so sind es die heutigen Computerspiele, „World of Tanks", „Armored Warfare", „Panzercorps 2" und viele andere, die jeden jungen Politiker der Union, liberaler und alternativ-grünen Friedens- und Soziparteien zur großen Feldfrau oder -herrn macht. Die Parolen wiederholen sich, die Geschichte glücklicherweise nicht im gleichen Maße, sie kann aber ungeahnte Überraschungen in sich bergen und völlig neue Bedrohungen für die Menschheit entblößen. Hiroshima und Nagasaki stehen für die strategische globale Vernichtung dieser Welt, die übrigens nicht nur das Klimaproblem, sondern auch alle anderen Probleme recht endgültig zu lösen verspricht.

In meiner Kindheit wurde mir oft ein vergilbtes Foto gezeigt. Ein altes Ehepaar ist dort abgebildet. Solche Photographien gab es in jeder Familie. Typisch der große Ernst und der starre Blick auf den Betrachter. Das ist deutsch, würde jetzt ein Rudolf Herzog in seinen zu recht vergessenen Schundromanen verkünden. Weit gefehlt. Die Glasplatten, auf denen das Negativ entstehen sollte, waren sehr unempfindlich und die Belichtungszeiten lang. So war ein sekundenlanges Stillhalten absolut notwendig. Aus dem größten Schalk wurde ein preußischer Unteroffizier beim Exerzieren. Das Ehepaar waren meine Ur-Urgroßeltern, die in der Provinz Poznàn, damals unter preußischer Knechtschaft einen Gasthof betrieben. Sie waren als deutsche Siedler etwas Besseres gegenüber den polnischen Land- und Wanderarbeitern, den eigentlichen Einwohnern des Landes, welches in Folge eines von Friedrich Nr. 2 vom Zaun gebrochenen Krieges nach dem plötzlichen Ableben der Zarin Elisabeth ein unverhofft glückliches Ende für den Preußenkönig fand und den Anlass bildete, dort Deutsche anzusiedeln.


Dieser streng dreinblickende Hausvater mit seiner ebenfalls ernst schauenden Gattin waren völlig selbstverständlich in den Kriegstraditionen, im besten lutherischen Sinne als treue Untertanen aufgewachsen. So hatte dieser nun schon bejahrte Mann mit Erfolg daran teilgenommen 1864 gegen Dänemark die Düppeler Schanzen zu stürmen, war 1866 gen Königgrätz gegen Österreich gezogen und nahm am deutsch-französischen Krieg 1870/71 teil. Sein Herz schlug für den Kaiser Willi Ausführung Nr. 2 und deshalb setzte er kurzerhand seine Tochter samt Enkelin vor die Tür, als jene als junge Ehefrau und Mutter aus Berlin zu Besuch weilte und ihrem Herrn Vater von dem Arbeiterelend in Preußens Hauptstadt berichtete. Sie hatte bereits Kontakt zur sozialdemokratischen Partei aufgenommen, was ihre stetig wachsende noch junge Familie schon früh in die Opposition zum „Vaterland“ und anderen höheren Mächten trieb. Die protestantische Ethik und ihre Traditionen verschwanden damit aber nicht. Selbst, wenn die Nachkommen keine strengen Kirchenbesucher waren, so galten doch diese Werte weiter und wurden gelebt. Diese widerspenstige Tochter war meine Urgroßmutter und das kleine Mädchen meine Großmutter, die mir von der nächtlichen Abreise per Bahn in der 4. Klasse nach Berlin berichtete.






Die deutsche Bezeichnung für das heutige "Siedmiorogòw" war damals Siebenwald, in der Geburtsurkunde allerdings als "Siedmiorogower Hauland" bezeichnet. Hauländer waren von den Preußen urbar gemachte ehemalige Sumpfgebiete. Die dort lebenden Pächter waren nicht zu Frondiensten verpflichtet und genossen dadurch mehr Rechte.
Der blaue Stern in der Karte von 1905, siehe Pfeil, kennzeichnet die Lage des Dorfes,
welches heute ca. 235 Einwohner besitzt.



Einige Jahre später, meine Großmutter zählte 22 Lenze, war sie des abends mit ihrer besten Freundin in Berlin zum Tanz ausgegangen. In diesem Sommer war auch ihr Bruder Alfred in das:

Leib-Grenadier-Regiment „König Friedrich Wilhelm III.“

(1. Brandenburgisches) Nr.8 Frankfurt/Oder

eingetreten. Das Gruppenfoto weist eine Anzahl junger Männer auf, die offenkundig gerade das Zivilleben hinter sich gelassen und den Eindruck erwecken, dass sie auch so schnell als möglich dorthin wieder zurückkehren möchten. Man schreibt das Jahr 1914, es ist ein Samstag, der den beiden Frauen ein bescheidenes Vergnügen ohne die allgegenwärtige Reglementierung verspricht. Plötzlich verbreitet sich im Tanzsaal die Kunde von der Mobilmachung und der Kaiserrede an sein Volk, die Musik wird unterbrochen, es steigen Männer auf die Tische halten flammende Reden und stimmen „Heil dir im Siegerkranz..." an.

Die Stimmung wird immer aggressiver und es werden ständig Hurra-Appelle gehalten, bis die beiden Frauen rufen, ob denn niemand an die zukünftigen Toten denkt. Da werden Sie hinausgeworfen und beschimpft. Sie laufen durch das nächtliche Berlin, auch aus anderen Tanzsälen tönten nur die „Hoch"-Rufe und Treue-Bekenntnisse zu Kaiser und Vaterland.





Gruppenfoto dieses Regiments im Postkartenformat und als solche verschickt mit dem Datum vom 6.Juni 1914, Absender ist Alfred H., 2. von rechts in der letzten Reihe















Das fröhliche „Jeder Tritt ein Brit', jeder Stoß ein Franzos' und jeder Schuss ein Russ'" endete bekanntlich damit, dass die deutschen Soldaten, was von ihnen noch übrig war, eher wie die getretenen Hunde nach Hause krochen um sich dort die Wunden zu lecken und von Dolchstoßlegenden zu schwafeln. Bis dahin jedoch durfte jedoch gestorben werden. Der auf dem Foto so preußisch adrett wirkende junge Mann ist mein Großonkel, einer der drei Söhne die meine Urgroßmutter von den insgesamt neun Kindern zur Welt brachte. Bei ihm hieß es dann leider nicht: „Venedig sehen und dann sterben", sondern der Ort hieß Soissons, wo im Juli 1918 die letzten großen Schlachten stattfanden und er schließlich im Lazarett seiner Verwundung erlag, die er erhalten hatte. Da waren es nur noch Zwei. Meine Großmutter fuhr indessen mit ihrer besten Freundin Straßenbahn. In einer Zeit als höhere Bürgertöchter Hedwig Kotz-Malheur lasen, auf dem Klavier das „Gebet einer Jungfrau" klimperten, durfte die niederen Stände, die ja harte Arbeit gewöhnt waren, auch Männerarbeiten ausführen wie das Steuern einer Straßenbahn. Mein Urgroßvater war manchmal mit von der Partie, wenn er seinem Dienstplan gemäß als Schaffner mit derselben Straßenbahn in Berlin unterwegs war. Mir wurde von den beiden Frauen eindrücklich geschildert, wie heroisch sich damals die Heimatfront gestaltete. Man fror entsetzlich und hungerte sich durch. Eine andere Großtante von mir bekannte, dass sie nie in ihrem späteren Leben mehr gehungert habe als in jener Zeit. Damals wie heute gilt der Leitsatz: „Der Mensch lebt nicht vom Brot allein, für die Eliten darf es Champagner sein, der Pöbel beißt in den Patriotismus  – oder ins Gras hinein."


Fünfzig Jahre später diskutiere ich mit meinem Großonkel und seinem besten Freund Richard Broh über den Vietnamkrieg. Beide nun mittlerweile alten Herren gingen in Kreuzberg auf das humanistische Leibniz-Gymnasium, liefen Rollschuh auf dem Mariannenplatz und wurden von der Kriegshysterie des Augusts 1914 angesteckt. Sie marschierten von Kreuzberg nach Lichterfelde, um den Ausmarsch der ersten Truppen aus der Gardeschützenkaserne zu bejubeln und versuchten in der Kadettenanstalt ihr Glück als Kriegsfreiwillige. Doch zu dem Zeitpunkt sollte der Krieg ja nur bis zum Weihnachtsfest 1914 dauern und man empfahl den Schülern des Geburtsjahrgangs 1897 doch noch etwas die Schulbank zu drücken. Sie sollten aber noch genügend Gelegenheit bekommen „für die Freiheit" dem irdischen Leben entrissen zu werden, was der römische Dichter Horaz in folgenden Vers kleidete:

Dulce et decorum est pro patria mori“.

Mein Großonkel erlitt starke Erfrierungen an den Füßen, die ihn zeitlebens belasteten und hatte das Glück im „Kronprinzenlager" bei Verdun in französische Gefangenschaft zu geraten. Richard Broh trat nach den Kriegserlebnissen der USPD bei und nach einigen Jahren in der Illegalität des Nazi-Reiches arbeitend, das für Bürger mosaischen Glaubens ein spezielles Ende vorsah, konnte er 1937 in einem nicht sehr vertrauenerweckenden Flugzeug nach London flüchten. Von dort aus organisierte er sich in der Gewerkschaftsbewegung, wo er nach „der Stunde Null“ in Westdeutschland begann zur Neugründung der Gewerkschaftsbewegung beizutragen. Leon Rosenberg und Heinz-Oskar Vetter vom DGB zählten zu seinen Freunden. Ein idealer Diskussionspartner für einen Schüler des Jahre 1968, der in die Studentenbewegung und APO hineingezogen wurde. Mein Großonkel bekam von der SS eine Schiffspassage mit einer Zehn-Dollarnote geschenkt. Das Reiseziel war ungewiss und interessierte den Reichsführer-SS Heinrich Himmler überhaupt nicht. Folgerichtig waren nur wenige Monate danach diese Schiffsreisen auch nicht mehr im Angebot, sondern nur noch Sonderzüge, mit denen der Vater meines Großonkels nach Theresienstadt transportiert wurde, um noch mit den letzten Transporten nach Auschwitz ins Jenseits befördert zu werden. Mein Großonkel jedoch lernte Shanghai kennen und dorthin folgten seine Frau und sein Sohn, kurz vor dem Überfall auf die Sowjetunion, mit der Transsibirischen Eisenbahn nach China. Die Japaner, von den Nazis gern als „Quadratgermanen“ bezeichnet, pferchten dann die jüdischen Bewohner Shanghais in ein Ghetto ein, verzichteten aber auf die industrielle Vernichtung. Infolgedessen verstarb der Sohn mit 15 Jahren an der dort grassierenden Typhusepidemie. Die Eltern wanderten dann anlässlich der großen Revolution in die USA aus. Mein Großonkel, früher ein bekannter Sportjournalist bei dem „Berliner Tageblatt", durfte den „american way of life" als Lagerarbeiter und nebenbei tätiger Journalist für die jüdische Zeitung „der Aufbau" hautnah erleben. Der Vietnamkrieg war ihm verhasst, da er in Weltkrieg Numero 1 sämtliche Illusionen zu Grabe getragen hatte.


Die „goldenen Zwanziger“, welche ja pompös und verlogen als Seifenoper in der Flimmerkiste dem Publikum vorgeführt wurden, stellten für meine Familie zwar ein erstes Luftholen dar, doch blieb es ein Überlebenskampf, weil die wirtschaftliche und politische Lage instabil war. Der Bruder meiner Großmutter mit dem Namen Willi konnte seine Jugend auch nicht lange genießen, da zu dieser Zeit kein wirksames Medikament gegen Diabetes vorhanden war. Trotz einer teuren Privatkur, die der Chef einer angesehenen Krawattenfabrik meiner Großmutter spendierte, verstarb er an dieser Krankheit. Da war es nur noch Einer.



Dieser Letzte der männlichen Nachkommen meiner Urgroßeltern war zugleich der Zweitälteste in der Familie. Er hieß Friedrich und wurde wie viele Namensvetter „Fritz" gerufen. Für damalige Zeiten noch ungewöhnlich und bei streng konservativen Christen von leichtem Naserümpfen begleitet, lebte er in einer „Mischehe". Doch nicht etwa im Sinne der Rassenhygieniker fanatischer Nazis, sondern im kirchlichen Sinne, denn die Tante Rosa war katholischen Glaubens. Was die beiden nicht davon abhielt, ihre Kinder evangelisch taufen zu lassen. Ein Junge, den ich nur unter Onkel Fritzel kannte und die Tante Annemarie, die in der westdeutschen Provinz lebte, gingen aus der Verbindung hervor.


Nun, hatte ich ja schon die Kadettenanstalt erwähnt. Die erste Straßenbahnlinie führte vom S-Bahnhof Lichterfelde-Ost, der zugleich mit einem Fernbahnsteig versehen war, an dem auch Schnellzüge hielten, zu dieser preußischen Eliteanstalt, die für viele Europäer ein Nagel zu ihrem Sarg wurde. Kein Wunder, dass bei dieser hohen Konzentration preußischen Ungeistes die Vorortsiedlung Lichterfelde auch später eine Nazihochburg wurde. Diese Nazis, welche nicht nur der späteren Wehrmacht angehörten, sondern auch der Tross dieser Offizierssiedlungen, Krämer, Verwaltungsbeamte, just alles was ein preußischer Offizier zur „Fett-lebe" brauchte, war in Lichterfelde ansässig und engagierte sich schon früh für diese anrüchige Partei NSDAP. Es war mir ein Vergnügen nach 30 Jahren neben Wehrmachtstahlhelmen auch Akten auf dem Dachboden unseres Mietshauses in einer verstaubten Ecke zu finden. Diese Akten beinhalteten Flugblätter, Kandidatenlisten, Hauswurfsendungen, offenkundig aus den letzten Wahlkämpfen der Weimarer Zeit. Anscheinend hatte jemand in den letzten Kriegstagen diese belastenden Unterlagen der NSDAP-Ortsgruppe noch verschwinden lassen. Ich erfreute mich daran, nun zu wissen, wer von den Händlern und andere noch lebende Provinzpotentaten alles Nazis waren und nach dem Krieg die besten Antikommunisten und Superdemokraten, bevorzugt in der CDU, spielten. Nach der Machtergreifung und des Aufstellens erster SS-Kampfgruppen wurde aus der Kadettenanstalt die Heimstätte der „LAH", der Leibstandarte Adolf Hitler.


Wir befinden uns am späten Abend des 29. Juni 1934 in einer Steglitzer Eckkneipe wie es sie zu Tausenden in Berlin gab. Es ist ein heißer Freitag. Der Buchhalter Friedrich H. aus der Livländischen Straße in Wilmersdorf hat schon einige Pilsener und Kurze getrunken. Seine Stimmung ist erregt und er fängt an mit den Zechkumpanen zu politisieren. Trotz der Warnung seiner Mittrinker hört er damit nicht auf und erzählt einen Witz, der heute zurecht als diskriminierend verpönt ist, aber damals nur aussprach, was die gängige Volksmeinung ausdrückte. „Hitler und Goebbels wollen Skat spielen. Da fehlt ihnen der dritte Mann. Goebbels kommt auf die Idee bei Röhm anzurufen, um ihn zu fragen, ob er Lust hat als dritter Mann eine Runde Skat zu spielen. Doch am anderen Ende der Telefonleitung bedauert der Adjutant, dass sein Chef Röhm leider keine Zeit habe, denn er würde gerade Dame spielen." Nach diesem Witz entsteht ein Tumult. Friedrich H. wird festgenommen und direkt zur Gestapo in die Prinz-Albrecht-Str.8 gebracht. Zu gleicher Zeit begann eine lang geplante Mordserie der SS, die die SA enthaupten sollte und zugleich die ausgesprochen attraktive Chance bot, persönliche Rachefeldzüge mit tödlichem Ausgang für die Opfer unbehelligt durchführen zu können. Diese Aktion wird heute noch gern beschönigend „Röhm-Putsch" genannt. Dieser Witz, der seiner Abneigung gegen die Nazis entsprach, musste wohl in der paranoiden Vorabendstimmung zu dieser streng geheimen Aktion bei den in der Kneipe anwesenden Nazis auf einen fruchtbaren Boden gefallen sein. Friedrich H. wird am folgenden Tag wieder frei gelassen und die Familie atmet auf, während meine Mutter die Schüsse aus der nicht allzu weit entfernten ehemaligen Kadettenanstalt vernimmt, wo die „Putschisten" ermordet werden. Die Hinrichtungen finden in einer Entfernung von über anderthalb Kilometern Luftlinie statt.


In den folgenden Jahren gibt es eine gefährliche Gewöhnung an die Terrorherrschaft der Nazis. Aber die bürgerliche Gesellschaft schließt ihren Frieden mit den braunen Machthabern, die in Wirklichkeit von einer Rüstungsindustrie am Leben erhalten werden. Das Propagandageschwätz von der „Volksgemeinschaft" hinterließ trotzdem bleibende Spuren. Nicht nur das „völkische Eintopfgericht", welches in unserer Familie schlicht nicht stattfand, was den Blockwart massiv ärgerte, sondern auch die zahlreichen vermeintlichen Wohltaten dieses Regimes sollten sich bis in die Achtziger Jahre in der späteren BRD halten. Obwohl schon zu Anfang des dritten Reiches ein Gauleiter Mutschmann vor sächsischen Unternehmern erklärte, dass der Zusatz "-sozialistisch" allein dazu diene, um sich die Arbeiterschaft zu Diensten zu machen.

Doch, die Nachkriegslüge, dass niemand etwas von den Verbrechen der Nazis gewusst habe, von einem neuen Weltkrieg überrascht wurde, werden später zu jämmerlichen Schutzbehauptungen eines Volkes, dass sich von jeglicher Verantwortung reinwaschen will. Kam noch ein Carl-Ossietzky 1931 wegen Spionage ins Gefängnis, weil in seiner Zeitung „die Weltbühne" über geheime Manöver der Reichswehr in der Sowjetunion berichtet wurde, wobei sich die Führung der Reichswehr einen Hundekot um die Bestimmungen des Versailler Vertrages scherte, so nahm man offenbar die beständige Beschwörung einer kriegerischen Auseinandersetzung zur Eroberung eines neuen Lebensraums nicht ernst.

Das Arbeitsbuch, welches an meine Großmutter ausgegeben wurde, enthält ein aufschlussreiches Beiblatt. Wenden wir uns aber zunächst diesem Buch zu. Es enthält auf einen Blick den beruflichen Lebensweg des Reichsbürgers. Es ist als Ausweisdokument für das Arbeitsamt und andere Behörden gedacht. Die rotgrüne Bundesregierung, welche sich unter dem Stichwort "Hartz IV" einen Namen machte, wollte es wieder aufleben lassen unter dem Begriff "Elena". Was das Soldbuch des Soldaten ist, sollte Arbeitsbuch und Elena für den Reichs- und Bundesbürger werden. Bei einer Kontrolle sofort zu wissen, ob sich der zu Kontrollierende auch als gesetzestreu und normgerecht erweist. Ein Militarisierung der Gesellschaft, denn ähnlich wie "Hartz IV" bestand die "Beseitigung der Arbeitslosigkeit" allein in Zwangsmaßnahmen und realen Einkommensverlusten.



  arbeitend





 



In den alten Zeugnissen meiner Großmutter befand sich auch eines des Unternehmens Saul Wohnungs- und Einrichtungshaus in der Tauentzienstr. 8 im feinen Westen der Stadt Berlin. Nach dem Kriege, den sie Straßenbahnfahrerin erlebte, trat sie in die sehr bekannte Krawattenfirma S. Reichmann ein, wo sie durch Zwangsarisierung dann plötzlich einem Mobilmachungsbefehl folgen musste, der dem Arbeitsbuch beilag und bereits lange vor dem offiziellen Ausbruch des Krieges ihre Verwendung in einer Behörde vorsah. Daran zeigt sich, wie eine Kontinuität in der Kriegsplanung sich durch die Weimarer Republik fraß und durch die von den Rüstungsschmieden und anderer Industrielle folgerichtig mit Inthronisierung der Nazi-Herrschaft in den 2. Weltkrieg mündete. Das Schmierentheater um den Sender Gleiwitz mit Alfred Naujoks war die übliche Volksverdummung, wie sie auch heute anzutreffen ist, wenn es darum geht Kriegshandlungen zu rechtfertigen.

                                                          



Natürlich wurde in der Bevölkerung über den Luftschutz im Kriegsfalle berichtet und das Verhalten bei Luftangriffen geübt. Besonders die Verwendung chemischer Waffen im 1. Weltkrieg setzte den Schwerpunkt auf den Schutz vor Gase wie Phosgen und Senfgas. Es gab eine Reihe an staatlichen Luftschutzmaßnahmen, so wurden am Grazer Damm in Steglitz eine Wohnanlagen gebaut, die über entsprechende "Luftschutzkeller" verfügten. Doch für die Bevölkerung handelte es sich ja nur um „Schutzmaßnahmen", die im Falle eines Angriffs feindlicher Mächte zur Sicherheit der Zivilbevölkerung dienten. Man kennt diese Art mit dem Begriff der „Verteidigung" zu operieren und dabei den eigenen Erstschlag dezent unter den Tisch fallen zu lassen.

Dagegen war es in Frankreich das größte Verteidigungsprojekt der Bau der Maginotlinie, die aber bezeichnenderweise an der Nordgrenze nicht weitergeführt wurde, damit die Nachbarländer keinesfalls auf die Idee kommen könnten, durch diese Festungswälle bedrängt zu werden. Mit Ausnahme von Deutschland selbstverständlich. So endete die Linie an der Luxemburger und belgischen Grenze. Der Kriegsminister André Maginot war die treibende Kraft zu dieser Verteidigungslinie. Ihr Bau dauerte von 1930 -1940, ihre Parole "On ne passe pas!" (Man lässt nichts durchgehen) hat sich leider nicht bewahrheitet. Denn in alter Tradition marschierte die Wehrmacht über Belgien und Luxemburg nach Nordfrankreich ein, wie bereits im 1. Weltkrieg.



"Warten auf den Feind!"
la ligne du Maginot - ouvrage d' Hackenberg
Blick ins Moseltal nach Luxemburg
links hinten das AKW "Cattenom"

Ein Vorteil einer Großfamilie besteht in der Vielseitigkeit der ausgeübten Berufe Anverwandter. So ergab es sich, dass ein Sohn der Schwester meiner Urgroßmutter in Berlin ein Baugeschäft betrieb. Es war nicht besonders erfolgreich, aber dieser Cousin meiner Großmutter konnte ihr nun nützlich sein. Sie hatte im Kreis Belzig ein Grundstück erworden, was allerdings nur mit einer festen Laube ausgestattet werden durfte. Ferner musste für jeden gefällten Baum ein neuer gepflanzt werden, da diese Waldsiedlung sich in dem Erholungsgebiet der „Beelitz-Heilstätten“ für Lungenkranke befand. Auf Vorschlag der Kreisbehörde wurde eine Baugenehmigung für eine „unterkellerte Gartenlaube" ausgestellt. Der Cousin meiner Großmutter schritt dann zur Tat, meine Großmutter „organisierte" Baumaterial, wobei ihr ganzer Stolz sogenannte „Stoltedielen" waren. Es sind Betonhohldielen, die helfen Material zu sparen, denn der Beton wurde an anderer Stelle für Bunker- und andere Wehrbauten benötigt und war streng rationiert. So entstand mit viel Elan ein etwas eigenwilliges Häuschen, was sich, dank der Baustoffknappheit und mangelnder Beziehungen der Nachmieterin weitestgehend in seiner Ursprungsform bis in die späten Siebziger Jahre des 20. Jahrhundert erhielt, wie nebenstehendes Foto beweist.


Als in Berlin die Bombenangriffe an Heftigkeit zunahmen, erwies sich diese Kate als ein Zufluchtsort. Meine Großmutter fuhr täglich von Borkheide nach Berlin-Mitte zur Reichsbank, wohin sie per Mobilmachungsbefehl dienstverpflichtet wurde. Sie ärgerte sich in den dunklen Monaten maßlos, wenn sie vom Bahnhof die unbeleuchtete spätere Friedrich Engels-Str. entlang schlich und ihr Autos mit aufgeblendeten Scheinwerfern aus den Nobelvororten von Dahlem, Zehlendorf, Wannsee und aus Potsdam entgegen kamen – so als gelte für sie die strengen Verdunklungsvorschriften nicht. Die Fahrzeuginsassen suchten auf diese Art und Weise Schutz vor den Luftangriffen. Selbstverständlich konnten sich nur wohlhabende, somit also wertvolle Menschen mit Auto, diesen exklusiven „Zivilschutz" leisten. Ähnliches schildert auch Heinrich Böll in seiner Satire „nicht nur zur Weinachtszeit..." über eine Kölner Kaufmannsfamilie. Die so gern auch heute gepredigte Solidarität gilt eben nur für Kastenangehörige zu ihrem Vorteil, das dumme Volk soll nur an eine künstliche Volksgemeinschaft glauben und Opfer darbringen.



Der Händelplatz befindet sich im Berliner Bezirk Steglitz im Süden der Großstadt. Steglitz galt einst als das größte Dorf Preußens, weil die einstige wendische Siedlung zum Kreis Teltow gehörte bis zum Jahre 1920, als der damalige Bürgermeister der Stadt Berlin es geschafft hatte, die Siedlungen des Umlandes, welche praktisch schon zur Stadt gehörten, einzugemeinden. Dieser Platz war Knotenpunkt von drei Straßenbahnlinien. Zur Westseite wurde der Platz begrenzt durch die Wannseebahn und die Gleise der Potsdamer Bahn. Auf der ersten preußischen Eisenbahnstrecke verkehrten nicht nur die elektrischen S-Bahnzüger "Bauart Olympia", welche mit nur wenigen Halten von Potsdam zum Potsdamer Platz führten, sondern auch Schnell- und Güterzüge in westliche Richtungen. Die Trasse war viergleisig und eine meiner Großtanten berichtete, wie sie oft sehnsüchtig die Schnellzüge beobachtete, während sie selbst statt auf Reisen gehen zu können mit der Straßenbahn zur Arbeit fuhr. Im Haus Händelplatz Nr. 2 lebte die Familie, bis dann meine Urgroßeltern es vorzogen in der "Kate" bei Belzig eine nicht so bombige Behausung zu finden.

Doch wir sollten nicht den ältesten Bruder meiner Großmutter Friedrich H. mit seiner Frau Rosa aus der Livländischen Straße in Berlin - Wilmersdorf aus den Augen verlieren. Ihre beiden Kinder waren bereits erwachsen und lebten an anderen Orten. Im Herbst des Jahres 1943 hatte es in den Bezirken Wilmersdorf und Charlottenburg schon heftige Luftangriffe gegeben. So beschloss das Ehepaar die Mutter von Friedrich H. zu fragen, ob sie kurz vor der geplanten Abreise in die sichere Provinz zu anderen Verwandten denn in der Wohnung meiner Urgroßmutter übernachten könnten. Doch meine Urgroßmutter war alles andere als damit einverstanden. Sie hielt auch nicht mit der Meinung hinterm Berg: "Kinder, was wollt ihr dort? Ihr wisst doch wie gefährlich die Ecke ist, wegen der Bahnstrecke. So was wird doch bevorzugt bombardiert." Die Eheleute ließen sich aber nicht davon abbringen, denn das schlagende Argument von Rosa H. war:"Das wissen wir auch, aber es gibt doch bei dir freitags heißes Wasser und dann kann ich noch mal alles waschen, bevor wir in den Zug steigen. Es wird schon ausgerechnet in diesen zwei Nächten nichts passieren. Das Haus steht doch schon so lange." Meine Urgroßmutter schüttelte den Kopf, aber ließ sie gewähren und sie erhielten die Wohnungsschlüssel. Es sollte ihr letzter Besuch am Händelplatz werden.

An diesem Freitag wurde der Wohnkomplex Händelplatz 1-3 und Gelieustr. durch mindestens eine Luftmine und etliche Spreng- und Brandbomben zerstört. Tante Rosa erhielt einen Lungenriss und Onkel Fritz wurde der Schädel gespalten.  In dem Ausschnitt des alten Stadtplans sind mutmaßliche Detonationsorte eingezeichnet. Gegenüber den Wohnhäusern (1) wurde an der Ecke Gardeschützenweg das Postamt 4 (2) zerstört. Auch „Unter den Eichen“ gab es Zerstörungen am WHVA der SS (3).

Vor dem Wohnkomplex befand sich eine Grünfläche mit einem gemauerten Häuschen, als Wartehalle und Kiosk für Fahrgäste gedacht und in der Grünfläche war ein Splittergraben angelegt worden, falls ein Angriff die Fahrgäste an dieser Umsteigehaltestelle von drei Straßenbahnlinien überraschen sollte. In den Häusern lebte auch ein Weltkriegsveteran, der im 1. Weltkrieg verschüttet worden war. Er weigerte sich stets den Luftschutzkeller aufzusuchen. Er sah, in dem Splittergraben hockend, wie der gesamte Wohnblock in Schutt und Asche versank. Den später eintreffenden Rettungsmannschaften, denen auch mein Großvater angehörte, konnte er Tipps geben, wo die verschütteten Eingänge waren und so gelang es einige Bewohner aus den eingestürzten Kellern zu befreien. Aus zahlreichen Ecken ertönten Klopfzeichen von Verschütteten und die Mannschaften arbeiteten wie die Pferde. Doch gegen Mittag kam dann der Befehl, dass die Rettungsmannschaften sich unverzüglichst zum nahen SS - Wirtschaftshaupt-verwaltungsamt (SS-WHVA) „Unter den Eichen 126" zu begeben hätten, da sie dort den reinrassigen SS-Angehörigen edelsten Blutes Hilfe leisten sollten. So entfernten sie sich gezwungenermaßen und je weiter sie weg gingen, desto leiser wurden die Klopfzeichen - bis sie irgendwann einmal für immer verstummten.

Meinen Großvater fand man einige Tage nach dem Ende des Krieges auf einem Villengrundstück in Lankwitz unweit der S-Bahnlinie der Nord-Südbahn. Er muss dort wohl 14 Tage gelegen haben, nachdem ihn eine Granate an der befohlenen Fortsetzung der Schlacht um Berlin, die dem Iwan die vernichtende Niederlage beibringen sollte, hinderte. Doch diesen Bericht über den Bombenangriff am Händelplatz konnte er noch vorher an seine Nachkommen überliefern.




Unmittelbar nach dem Angriff erhält man einen Eindruck  über das Ausmaß dieser Zerstörungen. Die Druckwelle der detonierten Luftminen rissen nicht nur die Straßenbahnwagen aus dem Gleis, sondern legten sie auch zur Seite. Links von den Trümmern eines Häuschen, das auf der Grünfläche vor den Häusern Händelplatz 1-3 stand. Nicht mehr im Bild befinden sich die Trümmerberge der eingestürzten Häuser.


Quelle:Festschrift anlässlich „50 Jahre BVG“ überarbeitet von Sigurd Hilkenbach und Wolfgang Kramer

Ausgabe April 1987, Herausgeber Direktionsabteilung Öffentlichkeitsarbeit der Berliner Verkehrsbetriebe (BVG), Eigenbetrieb von Berlin (Foto wurde v. Autor aufbereitet)

Meiner Großtante, welche bei dem Anblick der Schnellzüge immer ein Fernweh befiel, wurde die ehrenvolle Aufgabe zuteil, in Berlins Leichenschauhäusern, nach ihrem Bruder und seiner Frau zu suchen um sie zu identifizieren. Diese Eindrücke blieben unauslöschlich in ihrem Gedächtnis haften. Sie gewöhnte es sich an, wenn sie von einem Luftangriff überrascht wurde bei ihren Fahrten zwischen Borkheide und Berlin, nicht im Bahnhof Wannsee zu bleiben, wo durch den Hall die Detonationen der Bomben eine gute Resonanz fanden, sondern einsame Straßen um den kleinen Wannsee aufzusuchen und ihre Handtasche mindestens zehn Meter entfernt aufzustellen, damit den Familienangehörigen im Todesfall der Gang durch die Leichenschauhäuser erspart blieb. Je mehr das Kriegsende nahte, desto mobiler wurde die Bevölkerung. Meine Mutter und Großmutter erlebten das Kriegsende im Elbsandsteingebirge, wo am 13. Februar sich der Horizont in Richtung Dresden blutrot färbte und anderen Tags ein Ascheregen niederkam. Zwischendurch bewohnten meine Großtanten ein Behelfsheim in Schlesien, was sie bei dem Herannahen der Front räumen musste. Meine Urgoßmutter befand sich im Wendland und las jungen Sowjetsoldaten die Leviten, wenn sie wieder über die Stränge geschlagen hatten und sich reichlich bei Bauern bedienten, um danach auch einige Lebensmittel der „Matka", wie sie meine Urgroßmutter nannten, zu schenken. Sie verstanden offenbar das polnisch meiner Urgroßmutter gut und brachten dann nach der Gardinenpredigt zerknirscht die erbeuteten Lebensmittel wieder zurück.


Die nachfolgende Generation in Deutschland wuchs mit Kriegserzählungen auf. Da waren einerseits die Heldensagen ihrer Väter, die je nach Alkoholpegel dann bereits die große Revanche gegen den Iwan planten, andererseits die Schreckensberichte von Vertreibung und in kleinerem Maße die Schilderungen der Bombenangriffe und unmittelbaren Kriegshandlungen.


In Westberlin blieb die Kriegsstimmung bis etwa 1980 präsent. Es gab zwei Fraktionen unter den Kriegs- und Nachkriegskindern. Die Einen begeisterten sich für militärische Geräte, kletterten an Tagen der offenen Tür der Besatzungssoldaten mit Wonne in die Panzer und spielten, wie die Alliierten im Grunewald Krieg. Die reichlich vorhandenen Ruinen ersetzten den Spielplatz. Andere hingegen erlitten Alpträume, konnten den Straßenkampfübungen der Amerikaner nichts abgewöhnen, mussten sich vor den rollenden Panzern auf der Straße in Sicherheit bringen. Ihnen ging der ständige Gefechtslärm von den Manöverplätzen im Grunewald oder im Forst bei Kohlhasenbrück auf die Nerven. Den Höhepunkt stellte eine sehr gelungene Ausstellung mit Werken von Otto Dix „Zwischen den Kriegen" im „Haus am Waldsee" dar, weil gerade die amerikanischen Soldaten wieder eine Übung abhielten, wo den Betrachter der Dix'schen Werke eine Untermalung durch knatternde Maschinengewehre und Granatwerfer erwartete und den Eindruck eines Jüngerschen Stahlgewitters vermittelte.


Viele Jahre später zeigen Forschungsergebnisse in der Psychologie, dass es eine posttraumatische Störung bei bestimmten Personen gibt, die Kinder von im Krieg schwer traumatisierten Eltern sind. Obwohl die Betroffenen den Krieg nicht mehr selbst miterlebten, wurden sie durch den Krieg geprägt. Auch die Nachkriegszeit hinterließ ihre Spuren und entwurzelte manchen Bürger. Gewalt war immer noch legitim, mit Ausnahme gegen die Obrigkeit, der Überlebenswille verwandelte sich nach Wegfall jeglicher Bedrohungen in Egoismus und Abgestumpftheit.


Noch in den Fünfziger und Sechziger Jahren wurden mit Wonne staatstreue Volkstrauertage abgehalten, wo mit kirchlichem Segen und Anwesenheit des Bundespräsidenten Lübke, der Architekt von Baracken in KZ und Zwangsarbeitslager war, abgehalten. Passend zum November auf den großen Friedhöfen am Südstern, nebst Aufwärmgottesdienst und Predigt über Pflicht und Neigung. Um die Gedenkstätte ein Lichterkranz aus Fackeln, schöner kann das Sterben im Krieg wohl gar nicht sein, möchte so Mancher denken.


Diese anekdotischen Familiengeschichten, welche an dieser Stelle behandelt wurden, die gibt es in unzähligen Familien. Doch genau das ist das Wesen des Krieges. Das Grauen und das Sterben geschickt so zu verteilen, dass es eine Möglichkeit zu geben scheint, durch List und Tücke seinem Schicksal zu entgehen. Sie gibt es auch, siehe die Herrenfahrer, welche bei Voralarm ihre Villen verließen und in den Wäldern Schutz suchten. Es gibt stets Gewinner eines Krieges, denn der Krieg wird, so zeigen es die deutschen Kriege seit 1864, aus ganz pragmatischen Motiven, nämlich aus Machtgier und Gewinnstreben, geführt.


Das Risiko dagegen wird ungleich verteilt. Der Großteil der Bevölkerung leidet, während sich eine Oberschicht bereichert. Es heißt, die Freiheit wird durch die Kämpfenden im Krieg verteidigt. Wessen Freiheit? Die Freiheit der Menschen, die einen Krieg mit der Sowjetunion vom Zaune brachen, weil sie Raumfreiheit benötigten? Die Freiheit ein eingemauertes Westberlin mit dem Terror gegen die Zivilbevölkerung in dem Guerillakrieg in Vietnam zu rechtfertigen? Diese Parole klingt noch stets in den Ohren meiner Generation. Unfreiwillige Reprisen boten dann der Hindukusch und nun die Ukraine.


Was bringt prominente evangelische Kirchenvertreter auf die Idee, dass Waffenlieferungen an die Ukraine, verbunden mit dem Ziel Russland zu ruinieren theologisch zu rechtfertigen sind und Gegner dieser Deutschchristentheologie als naive Pazifisten zu diffamieren? Warum schweigt die evangelische Kirche, wenn eine Außenministerin es als völlig normal ansieht, dass der Krieg in der Ukraine noch Jahre dauern wird und daher die Unterstützung durch Waffen aus der BRD entsprechend fortgesetzt wird? Sehen so Friedensbemühungen aus?


Von daher stellt sich die Frage: lässt sich aus dem neuen Testament irgendeine Aussage, welche Freiheit es wert ist mittels eines Krieges zu verteidigen, herleiten?


Angesichts dieser Schilderung der historischen Ereignisse am Beispiel einer Familiengeschichte, die wie viele andere in diese Kriegsmaschinerie gesogen wurden, ergibt sich die herausgearbeitete Erkenntnis, das Macht- und Profitstreben die einzigen Motive für das Führen eines Krieges darstellen. Es hat mit Ausnahme des Überfalles auf Polen und später der Sowjetunion seitens der Nazis stets eine Vorgeschichte gegeben, die zwar nicht die Schuldfrage aufklärt, die aber in einer Beweisaufnahme zu berücksichtigen ist. Doch gerade diese Vorgeschichte fällt zu gern unter den Tisch, weil sie vielleicht zeigen könnte, dass stets wirtschaftliche neben anderen Interessen zu Kriegen führen und die politische Überzeugung zu den "Gerechten" zu gehören nur etwas für dumme Untertanen ist oder für gläubige Schäfchen, die Vaterland und Gott zugleich anbeten.


Heute ist vor 77 Jahren von den Kämpfern für die Freiheit die Atombombe über Hiroshima gezündet worden. Es ist die neue Freiheit sich nicht mehr selbst um ein ordentliches Begräbnis kümmern zu müssen, sondern stattdessen einen staatlich verordneten Freitod erleben zu dürfen. Es ist längst vergessen, dass die Verteidigungsdoktrin im kalten Krieg den eigenen Selbstmord zugunsten des Überlebens der zwei Weltmächte verordnete. Deutschland - ein Aschefeld. Doch heute ist die Wahrscheinlichkeit, dass dumme Politiker diese Waffe „punktgenau" und „kriegsabkürzend" einsetzen so hoch wie nie zuvor. Was sagt die Kirche dazu? Es wird geschwiegen – vielleicht weil einige Fundamentalisten mit dem Weltenende liebäugeln - denn ein nukleares Inferno würde ihnen die Bestätigung für Hamargedon und die Visionen in der Offenbarung des Johannes bescheren.


Doch, das soll im Teil 2 dieses Essays diskutiert werden.









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